Text: Julian Tröndle, 24. September 2021

Mit „Carrie & Lowell“ gelang Sufjan Stevens 2015 wohl eines der letzten großen Folk-Alben im Nachhall des Genre-Hypes: Ein tiefschürfendes Meisterwerk der diskreten Melancholie, in welchem er autofiktional die eigene Familienchronik in all ihrer Dramatik sezierte. Lange schien es, als seien für ihn mit dieser formvollendeten Platte die Potentiale des Leisen im Dienste der narrativen Dramatik auch abschließend erschöpft. Jedenfalls folgten auf das Album statt wärmendem Fingerpicking vorwiegend obskure Experimente wie etwa der neo-klassische Soundtrack für eine Ballett-Inszenierung sowie Synthesizer-Studien in zuletzt inflationärer Frequenz. Auf diesen Ausflügen ins Offene folgten selbst ich und auch andere ihm eigentlich kopflos Verfallene nur noch widerwillig.

Seine grundständige Folk-Sozialisation wurde in jener Zeit indes nicht geleugnet, sondern lediglich ausgelagert. Dies lässt sich an den Aktivitäten des von ihm und seinem Stiefvater kuratierten Labels Asthmatic Kitty ablesen: 2017 nahm Stevens dort den kalifornischen Songwriter Angelo De Augustine unter Vertrag, dessen schwelgerischer Lo-Fi-Folk in seinen besten Momenten den Zirkelschluss zum Frühwerk seines Label-Chefs vollzieht. Neben ihrer Obsession für reduzierten Folk hegen beide – Mentor und Mentee – offenbar auch eine für das Kino. Bereits vor der Pandemie zogen sie sich jedenfalls in eine Hütte zurück, wo sie nichts anderes taten als Filme zu schauen (das einigermaßen eklektische Programm reichte von Wim Wenders‘ “Der Himmel über Berlin“ bis hin zur Cheerleader-Komödie „Bring It On“) und ihre losen Assoziationen am nächsten Tag in Songs zu überführen.

Der kollaborative Prozess war dabei trotz des scheinbaren Machtgefälles zwischen den Künstlern ein durch und durch demokratischer: Text- und Melodiefragmente wanderten unentwegt hin und her, wurden aufgegriffen und adaptiert, bis sich die Frage der Urheberschaft vollends erübrigte. Dass dabei weit mehr entstand als ein verfrühtes Lockdown-Experiment zweiter verspielter Film-Nerds, ist vor allem der außergewöhnlichen Fähigkeit beider (!) Künstler zuzuschreiben, ansatzlos zwischen tiefer Traurigkeit und hymnischer Transzendenz zu oszillieren.

So gerät „A Biginner’s Mind“ auch ohne Freude an cineastischem Referenzen-Entschlüsseln zur eindrucksvollen Demonstration in Sachen detailverliebtem Songwriting. Das Falsett De Augustines harmoniert dabei grandios mit der wohlig vertrauten In-Ear-Intimität früherer Stevens-Produktionen: Der Opener „Reach Out“ oder „Cimmerian Shade“ hätten sich in etwas spartanischeren Versionen gar auf Frühwerken wie „Sevens Swans“ wohlgefühlt, während die opulenteren Momente – allen voran der potentielle Song des Jahres „Back To Odz“ – an den Kammerpop des wohl für immer unvollendeten Staaten-Projekts erinnern. Damit bleibt das Einzige, was an dieser Platte auszusetzen ist, ihr Artwork, welches an dieser Stelle aber stillschweigend ignoriert werden soll.

VÖ: 24. September 2021 via Asthmatic Kitty Records