What is Taumel, but the strangest of feelings? Wenn sich Jakob Diehl nicht als Schauspieler in seiner Rolle des Unbekannten bedrohlich über Raum und Zeit der Erfolgsserie Dark schiebt, fällt der Berliner zusammen mit seinem Partner in crime Sven Pollkötter und dem gemeinsamen Projekt Taumel auch musikalisch zwischen die Fugen von Zeit und Raum. „There Is No Time To Run Away From Here“ ist der Titel ihrer ersten Sound-Manifestation, die nun erstmals auf Vinyl erscheint.
Kennengelernt haben sich Pollkötter und Diehl lange vor dem einschlagenden Erfolg von Dark als Musiker während der Aufnahmen zum Hörspiel „Die Nacht aus Blei“ von Hans Henny-Jahnn. Die Jahre später so schlüssig wirkende Verbindung zur düster-depressiven Stimmung von Dark und der brunnentiefen Klangwelten von Taumel ist dabei jedoch reiner Zufall. Oder nicht?
In jedem Fall werden sich Freunde von bekannten Slow-Jazz-Schummrigkeiten wie Bohren & der Club of Gore oder der jüngst ebenfalls in Berlin erwachten Noir-Entität Sometimes with Others sofort heimisch fühlen. Fans der Netflix-Serie dürften sich im Taumel aber ebenfalls in unterbewusst vertrauten Gefilden wiederfinden. Düster-bedrohlich und doch faszinierend einnehmend schleichen sich die fünf Tracks in den Gehörgang und entfachen eine geradezu übernatürliche Anziehungskraft.
Die ersten Skizzen zu diesem Projekt sind bereits im Jahr 2016 entstanden und werden knapp vier Jahre später als erster Teil eines größer gedachten Musik-Zyklus erstmals physisch veröffentlicht. Schlicht als „Traum“ betitelt, graben Diehl und Pollkötter in dunkelgewandeten Klang-Kutten tiefe Wunden. Es raschelt, es rauscht, es schleppt sich so dahin auf „There Is No Time To Run Away From Here“. Zwischen aller wohltuender Melancholie liegt der Griff zum Whiskey-Glas oder dem wohl riechenden und dennoch herben Zigarillo extrem nahe. Eintauchen, abtauchen, sich verlieren… Bei Taumel scheint alles erwünscht zu sein.
So wie sich „There Is No Time To Run Away From Here“ beim ersten Durchgang stetig weiterentwickelt, so soll es auch tatsächlich geschehen. Die rund 30 Minuten, sodann sie verstummen, bieten sich geradezu an, fortgesetzt zu werden. Ohne Gesang, dafür aber mit unerhörten Drone-Passagen, aufreibend und doch irgendwie beruhigend wirkenden Perkussion-Spiel und einer Wagenladung Atmosphäre, schupsen einen Taumel über die Reling hinein in ein schwarzes Meer. Unbehaglich und doch sanft. Was sich anhört wie der Epilog einer langen Reise ist erst der Anfang. Oft muss man erst einmal ins Taumeln geraten, um am Ende Stabilität zu finden.