Text: Patricia Leuchtenberger, 24. Oktober 2022

Die britischen Indierock-Legenden und stilistischen Chamäleons sind mit einem weiteren ikonisch sperrigen Albumtitel und elf Songs zurück: Ihr fünftes Studioalbum ist zwar ihr bisher kürzestes, kombiniert den fetzigen Signature-Sound ihres Durchbruch-Debüts vor zehn Jahren mit authentisch nahbaren Texten sowie Folk-Elementen, sodass The 1975 mit „Being Funny In A Foreign Language“ einen soliden Querschnitt ihres gegenwärtigen und vergangenen musikalischen Handwerks auf die Welt loslassen.

Lange bevor die erste Singleauskopplung „Part Of The Band“ im Juli dieses Jahres erschien, hatte Frontmann Matty Healy auf Twitter angekündigt, dass ein neues The 1975-Album auf dem Weg ist. Nachdem vor zwei Jahren „Notes On A Conditional Form“ den Fans Unmut mit unbeholfenen elektrisch induziertem Alternative-Rock auferlegt hat und letztendlich kläglich floppte, wusste niemand so richtig, was man von den Briten als Nächstes erwarten kann.

Matty Healy, Adam Hann, Ross MacDonald und George Daniel sind dafür bekannt, sich in ihrer Musik volle künstlerische Freiheiten anzumaßen; nach ihrer Etablierung mit ihrem erfolgreichen Debütalbum in der Mainstream-Indie-Szene klamüserten die Jungs für jede neue Platte ein neues Soundkonzept sowie Ästhetik aus. Das ging das ein oder andere Mal nach hinten los, denn damit fuhren sie die „Being Funny In A Foreign Language“-Vorgänger gegen die Wand: Alben der Gruppe aus den letzten Jahren waren chronisch stilistisch vollgestopft, vor halbgaren Ideen triefend und in Folge in keinster Weise angenehm war anzuhören.

Alles war möglich für ihr neues Werk: So kündigte Healy für das neue Album inoffiziell Features mit Charli XCX und Beabadoobee an, sodass der Hype um BFIAFL noch größer wurde. The 1975 sind nicht gerade dafür bekannt, mit anderen Künstlern zu kollaborieren; sie machen am liebsten ihr eigenes Ding – nach ihrer Nase. Zuletzt lehnte das Quartett einen Mega-Deal um den beliebten Posten des dauerhaften Pre-Act für Ed Sheerans Welttournee ab, weil sie lieber eigene Shows für ihr Publikum spielen wollen.

Musik ist für sie kein Geschäft, sondern Leidenschaft und Kunst. Darin besteht der eigene Anspruch von The 1975: immer, auch wenn nicht nachvollziehbar, ihren eigenen Maßstab zu entsprechen. Dass das auf ihrer neuesten Platte nicht anders sein würde, war ja klar. Was in den Vorab-Singles überrascht ist, dass sie nach all den experimentierfreudigen Jahren sich doch nach typischen Klangmitteln der Vergangenheit, die sie zu Weltstars gemacht haben, recken würden. In „Being Funny In A Foreign Language“ bekommen wir endlich wieder das, was wir von der Band gewohnt sind. Erstens: eine konzeptuelle Ästhetik, die in verlassenen, abgestorbenen Landschaften in schwarz-weiß, in schwarzen Mänteln besteht, und es fehlt nur noch eine plakativ rote Schrift, die auf „KARGO“ von Kraftklub referieren würde. Entgegen dem tristen Design erwartet uns aber zweitens: warme, diskoeske Liebeshymnen und die lyrische Fusion von Gesellschaftskritik sowie die niedrigeren humanen Emotionen.

In der Theorie sollte eine solch thematisches Herumgespringe nicht funktionieren, in der Praxis wickelt Healy all dies in charmantes Storytelling, sodass einem die Vermengung von Liebe („Happiness“, „Oh Caroline“, „I’m In Love With You“) und beispielsweise dem Phänomen von School Shootings („Looking For Somebody“), nicht etwa unsensibel und anthropozentrisch vorkommt, sondern vermittelt die Ansicht, dass die Liebe als Teil der Gesellschaft verstanden werden muss und mindestens genauso wichtig zu erwähnen ist.

Eine deutliche Ausnahme ist dabei der traditionell selbstbetitelte Intro-Song (sie heißen immer „The 1975“, wobei immer die gleichen Lyrics in unterschiedlichem Kostüm passend zum jeweiligen Album performt werden), welcher komplett aus der Reihe tanzt. Nun rattert Healy gewohnt rätselhaft die Missstände der Gesellschaft, über die Verschwörungstheoretiker QAnon und die Tragödie des Klimawandels, runter. („I’m sorry if you’re living and you’re seventeen“), bis die ersten Töne von „Happiness“ anklingen, und die Euphorie der Liebe einen alle Sorgen vergessen lassen.

Für The 1975-Fans der ersten Stunde werden die Highlights gleich zu Beginn des Albums ausgespielt und während die erste Hälfte des Albums in warmen Synthesizern und Gitarren versinkt, befasst sich die zweite Hälfte mit genau, Liebe, aber in einem anderen klanglichen Kontext. Die Aspekte von romantischen Beziehungen werden in sanften, verletzlichen Folk besprochen, von dem The 1975 in der Vergangenheit schon öfter Gebrauch gemacht hat. Hier kommen dann auch die ersten Schwächen auf, denn Healy hat definitiv schon bessere von solchen erwachsenen, vulnerablen Liebessongs geschrieben. Zuletzt verschwimmen die Songs ineinander, wobei zwar kein Track wirklich für sich alleinsteht, aber trotzdem schön anzuhören sind.

Damit finden The 1975 das wieder, an dem ihnen es nach ihrem großartigen Debüt gefehlt hat: Ein simples Konzept, welches ihre Tracks kontextualisiert und abrundet, wodurch sie ineinander und miteinander synthetisieren und ein authentisches Comeback ergeben. Weniger ist meistens dann doch mehr.

VÖ: 14. Oktober 2022 via Dirty Hit