Text: Nils Hartung, 02. Februar 2021

Der Blick ins Bücherregal erinnert mich daran, dass es vor vielen Jahren eine Zeit gab, in der ein gutes Buch nicht dick genug für mich sein konnte. Jeder 1000 Seiten-Wälzer versprach mir die maximale Eskapismus-Experience. Meine Lieblingsschinken von damals sind heute mit einer dicken Staubschicht überzogen und wirken neben den deutlich schlankeren Neuanschaffungen irgendwie aus der Zeit gefallen. Länge und Verästelung sind aus heutiger Sicht keine hippen Attribute. Und wahrscheinlich waren sie es auch nie, wenn man sie mit dem Stichwort „Gitarrenmusik“ in Verbindung bringt.

Im Rock wirkt ausschweifende Opulenz zuweilen gestrig und eingestaubt, womit wir wieder bei den Schwarten im Bücherregal wären. The Besnard Lakes aus Montreal sind seit ihrem Bestehen bestens für dicke Schwarten in Sachen Prog-Rock und Dream-Pop bekannt. Als sich ihr Label zuletzt mehr Gradlinigkeit von der Band wünschte, warf das Quartett um Jace Lasek und Olga Goreas kurzum das Handtuch. Es kamen Zweifel auf, ob und wie es für die Besnard Lakes weitergehen könnte.

Nach fünf Jahren melden sich die Band nun mit einem 71-minütigen „Fuck Off“ zurück. “The Besnard Lakes are The Last of The Great Thinderstorm Warnings” (so viel Zeile muss sein!) hält, was die Kanadier schon immer versprachen: Euphorisch epischer Prog-Rock, der ohne Songlängen-Korsett am besten zur Entfaltung kommt. An Gitarrenwänden und Synthieteppichen herrscht also auch auf dem sechsten Studioalbum kein Mangel. Bemerkenswert ist, dass sich The Besnard Lakes bei aller Großflächigkeit nicht im Dickicht ihrer selbst verlieren, sondern stets den Weg zur (ebenso großen) Melodie suchen.

Das zu Beginn düstere „Our Heads, Our Hearts on Fire Again“ durchfährt plötzlich ein funkelnder Sixties-Chor mit einer Zuckerwatten-Hook, die ihresgleichen sucht. „Feuds with Guns“ ist ein verspieltes, eingängiges Stück Synthipop, wie es die Band in dieser Form noch nicht geschrieben hat. Wer sich bis hierhin mitreißen lässt, wird zu guter Letzt mit einer waschechten Try-not-to-skip-Challenge belohnt. Echte Fans wissen hier natürlich, was zu tun ist.

28.09.2021 Köln – Jaki
28.09.2021 Berlin – Privatclub

VÖ: 29. Januar 2021 via Full Time Hobby