Text: Oliver Schröder, 14. Mai 2021

Keine Besprechung eines neuen Chills-Albums, ohne dass man kurz innehalten und dankbar sein muss, dass es überhaupt noch eins gibt. Martin Phillipps‘ Geschichte ist geprägt von gesundheitlichen, künstlerischen und finanziellen Rückschlägen, von denen sich viele Künstler wohl nicht mehr erholt hätten. An dieser Stelle sei noch einmal an die großartige Dokumentation „The Triumph & Tragedy of Martin Phillipps“ aus dem letzten Jahr verwiesen, die von den Ups und Downs der mittlerweile 40-jährigen Bandgeschichte erzählt.

Die Geschichte der Chills ist aber auch eine erstaunliche Geschichte von Kontinuität, denn der Backkatalog kommt trotz aller widrigen Umstände ohne große Tiefpunkte aus. Eher verzweifelte man an der Erwartungshaltung der Anderen, die die Band gerne als eine Art Kiwi-Version von REM gesehen hätten. Es wurden mehr „Heavenly Pop Hit[s]“ erwartet. Die kamen zwar auch, aber nicht solche, die im Radio rauf- und runtergespielt werden konnten – zumindest nicht außerhalb Neuseelands. Obwohl immer eine Menge Popappeal vorhanden war, haftete Martin Phillipps stets auch das Image des verschrobenen, melancholischen Eigenbrötlers an, über dessen Kopf stets eine kleine Regenwolke zu schweben schien. Egal wie wundervoll er seine Musik arrangierte, seine Texte verrieten, dass er mehr als einmal am Abgrund stand und nicht mehr weiter wusste.

Umso großartiger, dass mit „Scatterbrain“ das mittlerweile dritte Album seit dem Comeback vor sechs Jahren vorliegt. Und es enttäuscht ebenso wenig, wie die Vorgänger. Mehr noch, es stellt sich so langsam ein Gefühl der Normalität ein, was für den Anhänger der Chills nach Jahren der Dürre ein erhebendes Gefühl ist. Ein ganz kleines bisschen abgeklärter und souveräner als früher klingen die Songs, aber das sei dem Künstler geschenkt. Mit Streichern, Bläsern und aufwändigen Backing Vocals ist das schwebende, schrullige und melancholische ein Stück weit einer Erbaulichkeit gewichen, die vor dem Hintergrund der Bandbiographie umso mehr Strahlkraft besitzt. Das letzte Stück „Walls Beyond Abandon“ leitet dann endgültig Phillipps‘ späten Triumph ein: ein Juwel, eine Hymne, tatsächlich ein makelloser „Heavenly Pop Hit“. Im Radio wird er hierzulande dennoch nicht laufen, aber mittlerweile gibt es ja andere Mittel und Wege.

VÖ: 14. Mai 2021 via Fire Records