Text: Julian Neckermann, 01. März 2018

Langsam haben wir eine Großfamilie zusammen, so viele Söhne schwarzgallischer Tonkunst sich hier zusammenfinden. Auf Brother Grimms „Home Today, Gone Tomorrow“ folgt Dead Brothers „Angst“. Man merkt, hier handelt es sich um bekümmerte Geschwisterchen: Grimm, Tod, Angst, Verlust, Aufbruch ohne Wiederkehr.

Und beide Bands schöpfen aus den Vollen des Blueskanons – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Während Brother Grimms Herangehensweise recht reduziert ist – was wohl auch zu einem guten Teil daran liegt, dass der Böse solo unterwegs ist – haben wir es bei den Dead Brothers mit einer derzeit sechsköpfigen Kapelle zu tun. Derzeit? Der breiten Masse wohl unbekannt, haben die Schweizer mit „Angst“ bereits ihr siebtes Album vorgelegt und in zwanzig Jahren Bandgeschichte wurden bereits über 20 Ex-Mitglieder ins Totenreich befördert.

Und so divers gestaltet sich dann auch die Musik der Dead Brothers: Man hört rumpligen Sumpf-Blues inklusive Voodoo-Chören, dazu oft passend die tiefen, bassigen Tuba-Klänge der Balkan-Polka, Americana, Rock ’n’ Roll, Folk und fast ein bisschen aus dem Konzept rauspurzelnd: Archaisch europäische Folklore in Form von traditionellen Schweizer Ländler aus dem Mittelalter. Mittendrin ein Cover von Serge Gainsbourgs „Les Papillons Noirs“, Texte des deutschschweizerischen Schriftstellers Robert Walser (das ist mal wirklich ein toter Bruder – war das jetzt zu makaber?) und des noch lebenden Underground-Cineasten Marcus Aurelias Littlers, alles in allem polyglott auf Französisch, Englisch, Schwiizerdütsch und Deutsch intoniert, garniert mit Geigen, Banjos, Wurlitzern, Harmonium, Emmentaler Zittern und Schweizer Dudelsäcken.

Unter diesen Voraussetzungen soll der Puls der Zeit eingefangen werden: Es geht dem Ende zu und die Dead Brothers liefern die Begräbnismusik. Ein wahrlich großes Unterfangen und das Album ist auch ganz nett geworden. Bereits mit den ersten Tönen des bereits erwähnten gecoverten „Les Papillons Noirs“ wähnt man sich auf einem Floß, irgendwie melancholisch-fröhlich dahintreibend auf einem Gypsy-Dampfer. Und das passiert leider recht oft: Dass es recht zäh dahintreibt. Alles irgendwie schon mal gehört – man denkt nicht umsonst oft an Nick Cave, an Tom Waits „The Black Rider“, an fulminante Soundtrackglanztaten wie Goran Bregovićs „Underground“ (der ganz wunderbar himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt diese groteske Endzeitstimmung und Melancholie einfängt), an die herrlich schräge Schreckgestalten-Band aus Henry Selicks „Nightmare Before Christmas“ und an die Ästhetik Tim Burtons – so, auch mal paar Sachen in den Raum geworfen – zuerst faszinierend in seiner obskuren Abgedrehtheit, aber mittlerweile schon so oft verwurstet, dass sich unweigerlich Abnutzungserscheinungen zeigen.

So haben wir es hier, wie bereits erwähnt, ja schon mit dem siebten Langspieler zu tun – die „Leftovers & Rarities“ noch gar nicht dazugerechnet. Und irgendwie führt das auch dazu, dass ich der Platte ihr hehres Ziel „13 Geschichten von Freude, von Elend und der Schwierigkeit, in schwierigen Zeiten Mensch zu bleiben“ (Pressetext) nicht abnehme: Das alles ist zu überhöht, zu theatralisch, als wirklich die unserer Zeit immanente Angst musikalisch auszugestalten; um mehr zu sein als gefällige Hintergrundmusik, die Urängste der menschlichen Existenz anspricht und einen Schaudern lässt. Manchmal gelingt das, wenn aus den gleichförmigen Rhythmen ausgebrochen wird und man dem archaischen „Zeirli“ und „Es isch kei Soelige Stamme“ oder dem reduzierten, getragenen „Angela“ lauscht und man wirklich eine Anmutung von Melancholie und Entbehrung zu spüren bekommt.

08/03/2018 (CH) Lausanne – Zelig
09/03/2018 (CH) Biel – Le Singe
10/03/2018 (CH) Thun – Mokka
15/03/2018 München – Import Export
16/03/2018 Stuttgart – Goldmarks
19/03/2018 Münster – LWL Museum
20/03/2018 Frankfurt – Zoom
21/03/2018 Köln – Museum
29/03/2018 (CH) Schaffhausen – Taptab
30/03/2018 (CH) tbc
31/03/2018 (CH) Winterthur – Gaswerk
01/04/2018 (CH) Wädenswil – Theater Ticino / Pâqu’son Festival
06/04/2018 (CH) St.Gallen – Grabenhalle
05/05/2018 Kempten – 13th Floor Kulturetage

VÖ: 23. Februar 2018 via Voodoo Rhythm Records