Text: Alex Schulz, 20. Mai 2022

The Smile bescheren uns mit „A Light for Attracting Attention“ eine vollwertige LP mit fast einer Stunde Laufzeit. Eine Festzeit für die Ohren, denn zur Erinnerung: The Smile besteht aus den beiden Radiohead-Ikonen Thom Yorke und Jonny Greenwood, die seit 2020 unter diesem Namen eigene Sache mit dem Jazz-Drummer Tom Skinner (Sons of Kemet) machen.

Als musikalisch-freundschaftliches Projekt in Lockdown-Zeiten gestartet, ist die Band zum ernstzunehmenden Radiohead Spin-Off aller Zeiten mutiert. Jonny Greenwood, der seit Radioheads „A Moon Shaped Pool“ (2016) das Genre wechselte und vor allem Film-Scores komponierte, schloss sich spontan mit Thom Yorke zusammen, der zuletzt ebenfalls auf Solopfaden unterwegs war (Anima, 2019). Greenwood zufolge geschah dies hauptsächlich zum Zeitvertreib während des ersten pandemiebedingten Stillstands, sodass der Spaß am gemeinsamen Musik machen für beide (jetzt noch hörbar) im Vordergrund stand.

We just wanted to finish some songs together. It’s been very stop-start, but it’s felt a happy way to make music.

Um die Band zu komplettieren, holten sie sich mit Tom Skinner zudem einen Drummer ins Boot, der mit Jazz- und Afrobeat-Einflüssen neue Reize zu setzen vermochte. In der Folge wuchs die The Smile schnell über den Status eines Lockdown-Projekts hinaus: Das gesamte London Contemporary Orchestra wirkt auf der LP mit und der langjährige Weggefährte und Radiohead-Producer Nigel Godrich (seit „OK Computer“ immer dabei) drückte dem Ganzen seinen – nicht unerheblichen – Stempel auf.

Herausgekommen ist ein Album, das viele Checkboxen tickt, die Fans von Radiohead auf ihrem bandspezifischen Wunschzettel haben würden: Ein überraschend offensiver Mix aus Stilen und Spielarten, die teils nur noch der Vergangenheit angehören zu scheinen. Die Rede ist von draufgängerischen Songs wie der Vorab-Single „You Will Never Work in Television Again“ in eindeutiger Post-Punk Manier. Und unter die 13 Tracks mischen sich noch mehr lautere Nummern: „The Smoke“, die zweite Single-Auskopplung, liefert eine markante Bassline, die Greenwood hypnotisch in einen Trip-Hop-Song treibt. „We Don’t Know What Tomorrow Brings“ ist ein Prog-Rock Song mit aufdringlichem Moog-Synthesizer, der auf Anschlag zugespitzt wird. Selbiger kommt bei „Waving a White Flag“ einen Track zuvor ebenfalls schon weniger eskalierend, aber als tragende Säule zum Einsatz. „Thin Thing“ zeigt in der Mitte des Albums Zähne, mit sehr punchy gespielten Drums und einem glasklaren Riff, während bei „The Opposite“ wirklich alles zusammenkommt — Greenwoods Bassline, Yorkes Lead-Gitarre und virtuoser Gesang — in Verbindung Skinners mit perkussiven Jazz-Drums, schmiegen sich so perfekt aneinander als hätte die Dreierkonstellation schon in den 90ern genauso zu spielen angefangen. Die Show stehlen tun diese Songs den leiseren Vertretern erstklassigen Radiohead-Materials im Übrigen nicht. Intensive Tracks wie „Pana-Vision“ (Lieblingszeile: I’m without my shoes on / over broken glass / I am dancing for pennies) lassen Platz für die Yorke-typisch hohe Bandbreite seiner Falsettstimme. „Speech Bubbles“ und das melodisch große „Free in the Knowledge“ zeugen ebenfalls davon.

Textlich wird bei The Smile nimmermüde der Finger in die Wunde gedrückt, wobei die großen, allgegenwärtigen Themen unserer Zeit nicht ausgespart werden — „The Smoke“ ist zum Beispiel ein Track zum Klimawandel, „Speech Bubbles“ behandelt Fluchtbewegungen. Kein Wunder also, dass The Smile laut Thom Yorke nicht etwa mit einem freundlichem, sondern einem falschen Lächeln assoziiert werden soll. Davon unbeirrt lässt sich das Album aber in jedem Fall mit einem Lächeln auf den Lippen genießen, denn die schwerbeladenen Texte wurden wie erwartet meisterlich akustisch verpackt.

20.05.2022 Berlin – Tempodrom

VÖ: 13. Mai 2022 via XL Recording