Text: Maximilian Heß, 30. März 2021

Der Musiker Tightill wirft mit seinem Debüt-Album Fragen auf. Ist das ironisch gemeint? Ist das postmoderner Rap? Ist es die deutschsprachige Antwort auf genretänzelnde Sadboy-Musiker aus den USA? Am Ende gibt Tightill mit dem Namen seines Erstlings selbst die Antwort auf diese Fragen. Das ist “Strassenpop”.

Der Bremer Tightill ist bisher vor allem Szenefans ein Begriff gewesen. Schließlich ist er mit seiner Crew Erotic Toy Records vor allem dadurch aufgefallen, dass sie zeitgenössischen Rap, jedoch nicht über Goldketten, Sexarbeiterinnen und Drogen sondern über Gefühle, Neurosen und Unperfektheiten machten. Sein Solo-Debüt setzt in gewisser Weise daran an, lässt den Rap-Aspekt des Ganzen jedoch ein bisschen hinter sich.

Um das klar zu stellen: Natürlich sind immer noch Songs auf dem Album zu finden, die klar Rap sind. Dominieren tun sie nicht. Die Bühne gehört eher Songs wie “Alles”, einem der Highlights des Albums, das zeigt, wie elegant Tightill es schafft, Motive in seine ganz eigene Musikwelt zu integrieren. “Im Verhör hörst du von mir gar nichts, doch gehört dir mein Herz, dann sag ich dir alles.” Diese Zeilen sind albern, eigentlich nur zwei Plattitüden aus dem klassischen Gangster-Rap und einer Standard-Ballade. Aber eben auch deshalb, weil sich Tightill keine Mühe gibt, Kitsch zu umschiffen sind Zeilen wie diese nicht unangenehm, sondern auf eine unangenehme Weise sehr schön – man könnte es den Ali Neumann Effekt nennen.

Und damit sind wir bei der nächsten großen Stärke des Albums: Der Sound. Viele versuchen sich aktuell an den großen Analogsounds der späten Achtziger. So organisch wie bei “Strassenpop” gelingt es aber selten. In der Single “Dealer” kuscheln sich Duran Duran-Artige Synthieflächen auf einen New Wave Bass und eine an eine 707 angelehnte Drum-Machine. Und auf allem thront Tightills nasaler Singsang, der von einem Vocoder verzerrt wird. Wer Anno 2021 noch einen Vocoder einetzen kann, ohne dass es gewollt wirkt, hat definitiv seine Lücke gefunden.

Tightill singt darüber, wie er verliebt ist, wie er seine Jugend vermisst oder wie es um seine mentalen Probleme bestellt ist. Er trifft so ziemlich exakt den Zeitgeist des traurigen Teils der Generation Z und, auch wenn man ihm damit vielleicht ein bisschen zu viel schmeichelt: So gut kannte ihre Zielgruppe zuletzt nur Billie Eilish. Spannend ist jedoch, wie sehr “Strassenpop” ein unfassbar gutes Retro-Pop Album ist, das es streckenweise mit den alten Originalen aufnehmen kann. iese unkonventionelle Heirat aus damals und heute hat kein Album mehr so gut vollbracht wie “Strassenpop”.

VÖ: 19. März 2021 via Erotic Toy Records