Text: Oliver Schröder, 01. Oktober 2021

Tirzah steht nicht erst seit ihrem Debütalbum vor drei Jahren ganz selbstverständlich für einen minimalistischen Elektropop-Sound, der sich selbstbewusst von allem entkoppelt, was mit Knalleffekten und großen Posen zu tun hat. Die längst auserzählte Mär von Sex und Drogen oder gar Rock’n’Roll verstaubt ohnehin zu Recht in den Plattenregalen.

Vielleicht liegt es daran, dass Tirzah das Musikmachen lange Zeit nur als Nebenprojekt empfand, dass „Colourgrade“ so lässig unbekümmert daher kommt. Zwar lieh sie Künstlern wie Tricky zwischendurch mal ihre Stimme, aber ihr Name tauchte lange Zeit nur als Randnotiz auf. Dabei macht sie zusammen ihrer engen Freundin Mica Levi bereits seit Ewigkeiten Musik. Und während Levi als Micachu die Popwelt auf den Kopf stellte, bewegte sich Tirzah Mastin trotz einiger seit 2013 veröffentlichten EPs für die meisten Hörer unter dem Radar. Dies ist aber nicht die Geschichte einer jungen Künstlerin, die unbedingt gehört werden sollte, aber mit dem Business nicht klar kommt, oder gar falsch vermarktet wurde. Ihre (musikalische) Familie gab ihr die Kraft der Zurückhaltung. Mastins Geschichte ist eine von Selbstbestimmung, Gelassenheit und Bock auf Kunst. Und eine über ihre enge Freundschaft mit Micachu, die in all ihren Stücken deutlich spürbar ist. Verwies das Debütalbum „Devotion“ noch auf die Vergangenheit – die Songs entstanden über einen längeren Zeitraum – wird jetzt noch wesentlich mehr altlastiger Beiklang herausgefiltert.

„Colourgrade“ wirkt pur und wenig theatralisch und steckt trotzdem voller Tiefe und Rätsel. Das ist vermutlich der größte Verdienst des Albums: diese vollkommen selbstverständliche Lässigkeit, die sich sofort auf den Hörer überträgt und dazu ermutigt, einen ganzen Teil seiner alten Platten auf dem Flohmarkt zu verkaufen. Wir brauchen endlich Platz für Neues.

VÖ: 01. Oktober 2021 via Domino Records