Text: Tim Brügmann, 31. März 2021

Wahn und Wagnis unterm Totempfahl. Nach ganzen acht Jahren meldet sich die Supergroup Tomahawk rund um Faith No More Sänger Mike Patton, Duane Denison (The Jesus Lizard), Trevor Dunn (Mr. Bungle) und John Stanier (Helmet) endlich zurück. „Tonic Immobility“ verspricht das heiß ersehnte und während der anhaltenden Pandemie vollendete Werk, doch von Totenstarre kann keine Rede sein.

Vielmehr erwischt man sich selbst dabei, wie das Reh auf der Autobahn stehen zu bleiben, während der 12-Tonner, den Tomhawk hier reiten, unaufhaltsam auf Kollisionskurs geht. War das 2013 erschienene Album „Oddfellows“ noch eine gelungene Fortführung des Tomahawk-eigenen Sounds, wagen die vier Apachen mit „Tonic Immoblity“ eine kleine Abkehr von ihrem schneidenden Alternative-Sound. Zwar lässt das Quartett auch weiterhin die Rauchzeichen aufsteigen und spielt dabei mit allerlei Native American-Sounds, ihr mittlerweile fünftes Album ist aber auch ihr härtestes und geradlinigstes Album.

Um es kurz zu machen: An das selbstbetitelte Debüt und das an Tempo gewinnende zweite Album „Mit Gas“ kommt „Tonic Immoblity“ nicht heran. Und dennoch sind es der unerwartete Druck und die entgleisende Härte, die dieses Album zum 20ten Geburtstag der Band zu einer süchtig machenden Achterbahnfahrt in den Wahnsinn werden lassen. Zeitgeist inklusive, wie Duane Denison uns wissen lässt:

‚Tonic Immobility‘ could just be something in the air we’re feeling,“ says Denison. „It’s been a rough year between the pandemic and everything else. A lot of people feel somewhat powerless and stuck as they’re not able to make a move without second guessing themselves or worrying about the outcomes. For as much as the record possibly reflects that, it’s also an escape from the realities of the world. We’re not wallowing in negativity or getting political. For me, rock has always been an alternate reality to everything else. I feel like this is yet another example.

Will man den Erzählungen Glauben schenken, gären die von Stakkato-Surf-Gitarren und faustkämpferischen Drums getriebenen Tracks schon fast vier Jahre vor sich hin, ehe Chief Patton ihnen im Schicksalsjahr 2020 seine Stimme lieh. Textlich malt er auch hier wieder absurde bis groteske Bilder, spuckt Gift und Galle, lallt nahezu trunken und weint wie ein Kleinkind. Stimmlich mag das zwar erneut auf einem ungläubig machend hohen Niveau sein, man merkt der Platte jedoch an, dass sie nicht im direkten Zusammenspiel der Bandmitglieder entstanden ist.

Während Denison, Stanier und Dunn auch nach acht Jahren das Kriegsbeil in bester Tomahawk-Manier schwingen, lässt Patton eine gewisse Differenziertheit zu seinen anderen Projekten, vor allem Dead Cross, vermissen. Davon profitiert zwar der Härtegrad des Albums, doch irgendwie verläuft seine Kriegsbemalung nicht ganz parallel mit der restlichen Band und früheren Alben. Kein Beinbruch aber, denn nach 12 Sitzungen ums Lagerfeuer liegt kein Stein mehr auf dem anderen.

Mit „Tonic Immobility“ stellen Tomahawk wieder einmal höchst bemerkenswert unter Beweis, dass ein Cocktail aus The Jesus Lizard, Helmet und Faith No More immer noch eine verdammt gute Idee ist. Ein Album wie ein Zaubertrank, der einen den Ärger über das Weltgeschehen für wertvolle Minuten aus den Hirnwindungen bläst. Ein bisschen härter, ein wenig anders, ein Wahnsinn!

VÖ: 26. März 2021 via Ipecac Recordings