Text: Julian Tröndle, 25. Januar 2021

Vor etwa 15 Jahren suchten viele Bands die Zukunft des Indie-Rocks im Orchestergraben. Arcade Fire hatten gerade das Album „Funeral“ veröffentlicht und damit eine für das Genre ungewohnte Opulenz reanimiert, welche Ende der Neunziger von Neutral Milk Hotel scheppernd aus der Taufe gehoben wurde. Im Windschatten ihres Erfolgs erkundeten daraufhin weitere Bands das Potential von Pauken, Trompeten und Streichern als Mittel zur Aufbauschung ihrer Arrangements.

Eine davon war die elfköpfige Band Typhoon aus Oregon. Auf ihrem Debüt „Hunger and Thurst“ aus dem Jahr 2010 vermengten sie kühn Harmoniegesänge, dramatisch anschwellendes Schlagwerk und mindestens ebenso pathos-schwangere Streichersätze zu einem etwas zu verspielten Orchester-Pop-Album. Charmant war das vor allem deshalb, weil die große Geste darauf stets von einer limitierenden Lo-Fi-Ästhetik eingehegt wurde: Überall rauschte und knarzte es herzallerliebst. Und dennoch: Der Himmel trotzig voller Geigen.

Man würde annehmen, dass bandgewordene Mini-Orchester wie Typhoon am meisten unter den gegenwärtigen Lockdown-Bedingungen zu leiden haben; denn wie sollen innerhalb eines Kollektivs aus mehr als zehn Musiker*innen sinnvoll musikalische Ideen zirkulieren, ohne dass diese zunächst gemeinsam im Proberaum ausprobiert und erörtert werden? Und doch ist Anfang des Jahres nun überraschend ein neues Album der Band erschienen, das – so zumindest ein dem Presseschreiben beiliegender Brief des Sängers Kyle Morton – weitestgehend dezentral entstanden ist. Teilweise sollen sogar die rauschenden Sprach-Memos und GarageBand-Spuren der ursprünglichen Korrespondenz in die finalen Versionen der Songs integriert worden sein. Wahrnehmen tut man diese Rudimente jedoch allenfalls para-akustisch.

Mit dem unterproduzierten Kammerpop ihres Debüts lässt sich „Sympathetic Magic“, ihr neues Album, nämlich nur noch bedingt vergleichen. Vielmehr kann man an der Entwicklung ihres Sounds eindrucksvoll nachvollziehen, welch Wunder moderne Home-Recording-Software für Bands wie Typhoon im Modus der Distanz bewirken kann. Das stellenweise Conor-Oberst-Timbre von Kyle Morton ist wirklich das Einzige, was hier und da noch an die Lo-Fi-Ästhetik ihres Debüts erinnert.

Das Problem ist nun aber, dass sie auch mit dieser Verwandlung von versuchter zu tatsächlicher Opulenz spätestens 2021 zielsicher am Zeitgeist vorbeiagieren: In Zeiten verordneter Selbstisolation wirkt ihre hymnische und dunkel schimmernde Antwort auf „Funeral“ trotz der politischen Reflexionen zur gegenwärtigen Situation in den USA einigermaßen verspätet und deplatziert. Doch der Zeitgeist scheint für Typhoon noch nie ein ernstzunehmender Ratgeber gewesen zu sein. Warum auch? Der Flug der Eule beginnt bekanntlich in der Dämmerung. Und Typhoon fliegen auch im neuen Jahrzehnt unbeirrt weiter – Mit Pauken und Trompeten durch die Nacht.

VÖ: 22. Januar 2021 via Roll Call Records