Text: Tim Brügmann, 11. Januar 2021

Beim ersten Mal tat’s noch weh. Den ersten Eindruck zu revidieren, das ist tatsächlich schwer. Wohl dem, der es schafft, beim ersten Kennenlernen für hochgezogene Augenbrauen und Lobeshymnen zu sorgen. So geschehen bei den Viagra Boys, dem Post-Punk-Exzess der Stunde, der aus dem weit entfernten Stockholm und dem fulminanten Debüt „Street Worms“ frischen Wind durch unsere Hosen trieb. Mit „Wellfare Jazz“ lässt der 5er-Bob um Frontmann Sebastian Murphy nun sein zweites heißersehntes Album von der Kette.

Schon die erste Single-Auskopplung „Ain’t nice“ ließ erahnen, dass sich die Viagra Boys nach dem kurzen Einschub der EP „Common Sense“ nicht lumpen lassen und ihrem Sensationserfolg „Street Worms“ ein nicht minder scheußlich-schönes Album folgen lassen werden. Das Smörrebröd daumendick belegt mit Synthesizern, Bass und Sozialkritik – klingt gut, oder? Und doch ereilt einen auf „Wellfare Jazz“ schnell die Ernüchterung. Zwar bleiben sich die Viagra Boys stilistisch treu, doch irgendwo müssen beim ersten großen Bissen auch ein paar Zähne verloren gegangen sein. Zwar brilliert auch der Zweitling mit treibendem Post-Punk zwischen Wut, Wahn und Tanzbarkeit, der Mahlstrom in dem sich unsere Hüften vor zwei Jahren noch so ekstatisch kreisen ließen, hat jedoch an Sogkraft verloren. Zwar zeigt sich Sebastian Murphy auch hier herrlich selbstironisch und klingt kraftvoller denn je, der fulminante Ersteinschlag lässt sich aber nicht ohne weiteres reproduzieren.

Zwar pumpt einem auch „Wellfare Jazz“ genug Blut in die Lenden, doch gerade der Mittelteil des Albums tröpfelt eher dahin, ehe „Girls & Boys“ an die Single-Qualitäten von Songs wie „Sports“ oder „Slow Learner“ anknüpfen kann. „To the Country“ und das mit Amy Taylor von Amyl and the Sniffers aufgenommene Country-Duett “In Spite of Ourselves” schließen das Album zwar stilvoll ab und fügen dem VB-Sound neue Facetten hinzu, die krönende Wucht eines „Ampethanarchy“ vermisst man dennoch.

Mit „Wellfare Jazz“ schaffen die Viagra Boys ein weiteres Kapitel in ihrem ureigenen Sound, der zweifelsohne nach Viagra Boys klingt und fast schon nach einem eigenen Genre verlangt. Das Saxophon knarzt weiterhin herrlich, der Bass pusht und doch hat man es mit einem nur soliden Album zu tun. Das muss sich im Schatten der Erwartung zwar nicht verstecken, aber doch an seinem älteren Bruder messen lassen.

19.05.2021 Leipzig – Conne Island
23.05.2021 München – Technikum
24.05.2021 Berlin – Festsaal Kreuzberg
25.05.2021 Hamburg – Uebel & Gefährlich
30.05.2021 Köln – Kantine

VÖ: 08. Januar 2021 via YEAR0001