Text: Lennard Göttner, 19. Juli 2021

Zugegeben: Es ist wirklich lange her, dass Pop-Punk so Namen und Größen wie Sum 41, Good Charlotte oder Zebrahead hervorgebracht hat. Nein, nicht einmal Halbgötter wie Blink-182 oder Green Day versprühen heute noch ansatzweise halb so viel Magie und Feuer wie in alten Zeiten. Und wenn hier schon von Virtuosen dieses Genres geredet wird, dann kommen wir nicht daran vorbei, zumindest kurz eine Erwähnung der leider oft eher unrühmlicheren Wavves zu finden.

Die Pop-Punk-Formation aus San Diego ist Licht und Schatten zugleich. Die Mitglieder der Band, die von NME immerhin auf Platz 6 der besten Pop-Punk-Bands gekürt wurde, kommen und gehen von Platte zu Platte und von Tour zu Tour. Und Frontmann Nathan Williams, der sich in seiner frühen musikalischen Schaffenszeit lieber prügelte, besoff und Drogen nahm, als Konzerte zu spielen, zieht negative Schlagzeilen nahezu wie ein Magnet an.

Geschichten von Auseinandersetzungen mit Fans, Konzertabbrüchen und Drogensucht ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte dieser Band. Doch für viele Fans sind Wavves so viel mehr als das. Wavves sind das Gefühl von Sonne, Palme und Skateboard zugleich. Wavves spielen Musik, die wahrhaftig in irgendeiner kalifornischen Garage gewachsen und gereift ist. Und für mich ganz persönlich sind Wavves allerspätestens nach dem 2010 erschienenen Album „King of the Beach“ unsterblich. Die Band hat das Potenzial, die beinahe gesamte Epoche eines Musikgenres widerzuspiegeln. Dementsprechend weh tat es, nicht nur Nathan Williams‘ persönlichen Verfall, sondern auch dem der Musik der Formation einflusslos zuschauen zu müssen. Williams fasste seine einstigen Eskapaden just wie folgt zusammen:

It’s real peaks and valleys with me. I can be super optimistic and I can feel really good, and then I can hit a skid and it’s like an earthquake hits my life, and everything just falls apart. Some of it is my own doing, of course.

Und trotz allem sind sie noch einmal zurückgekehrt. „Hideaway“ heißt ihr neuestes, mittlerweile bereits sechstes Studioalbum und ist in gewisser Weise ein persönlicher Beweis Williams‘ dafür, dass er es immer noch drauf hat und sich in seinem persönlichen Umfeld schein- und hörbar einiges positives entwickelt haben muss. So wundert es nicht, dass das Album Songs wie „Help is on the way“ oder „Sinking feeling“ mit sich bringt. Für Williams, aber auch für viele Fans mag der Longplayer wie ein Hoffnungsschimmer wirken. Ein Funken, der nie im Leben ein Feuer entzünden wird, doch für Fans des Genres in gewisser Weise eine innere Genugtuung, ein (vorläufiger) gelungener Abschluss der Reise einer Band darstellt. Ja, das klingt tatsächlich fast nach dem Abspann einer nur so semi-guten Romanze: bittersüß, irgendwie unabwendbar und in diesem Falle auf eine nicht greifbare Art vor allem wahnsinnig ehrlich.

Es wäre übertrieben zu behaupten, „Hideaway“ erfinde irgendetwas neu oder würde das Genre in irgendeiner Weise revolutionieren. Nein, Wavves setzt innerhalb des Albums zum Großteil auf altbekannte Formeln, einfache Klanggefüge und sich wiederholende Lyrics. So kommt dieses Gefühl von zum-tausendsten-Mal-gehört besonders in der ersten Hälfte des Werkes besonders stark auf. Doch dann passiert etwas, was die meisten vermutlich gar nicht für möglich halten werden, wenn sie an Wavves denken: Sie nehmen sich mit „The Blame“ zurück, bieten Williams Zeit, sich lyrisch zu entfalten und riskieren nahezu einen Genre-Wechsel hin zum Country. So klingt der Song, als hätten die vergangenen Jahre der Band aus San Diego genug Demut und Melancholie eingehaucht. Und diese erfüllende Reise zieht sich ab diesem Zeitpunkt bis zum Ende des Albums.

Pop-Punk bringt eine unüberwindbare Hürde mit sich, an der wirklich jede einzelne Band dieses Genres zu einem gewissen Zeitpunkt ihrer Karriere gescheitert ist, beziehungsweise zumindest für eine kurze Zeit haltmachen musste. Die Musik des Genres basiert im Grunde genommen auf einer allumfassenden Basis: Den Weg des geringsten Widerstandes eingehen. Was heißt das? Es gilt, nicht zu viel zu experimentieren, denn dann klingt es erzwungen und fühlt sich nicht natürlich und organisch an. Auf der anderen Seite sorgt das ewige Recyceln von alten Riffs und Sounds dafür, dass es nie etwas Neues und Anderes dieser Bands zu hören gibt. Wavves standen genau an diesem Punkt.

Und in Anbetracht der Geschichte dieser Band lässt sich abschließend festhalten, dass die Band mit „Hideaway“ einen wunderbaren und überzeugenden Grad an Progression und Reminiszenz geschaffen hat, der sich im ersten Moment vielleicht nicht ganz greifen lässt, doch mit der Zeit immer mehr zu einem wirklich grundlegend ehrlichen Werk entwickelt, dass sich hier und da sogar in wirklich ungewohnt ruhigeren und nachdenklicheren Passagen wiederfindet.

VÖ: 16. Juli 2021 via Fat Possum Records