Text: David Maneke, 22. August 2022

Ein Naturgesetz der Musikindustrie besagt, dass jedes Jahr zur heißen Jahreszeit die viel zitierten Sommerhits herausgebracht werden. Seitdem Bryan Hyland mit unnachahmlich nervig vorgetragener problematischer Männlichkeit im Jahr 1960 den „Yellow Polka Dot Bikini“ eines so verschämten wie namenlosen Mädchens besang und damit womöglich den ersten gezielt geschriebenen „Sommerhit“ der Unterhaltungsmusik zu phänomenalem Erfolg führte, werden wir jahrein, jahraus mit billiger und effekthaschender Popmusik beehrt. Erfolg und Tragik des Sommerhits liegen konzeptuell nah beieinander. Klar, im Sommer, im Urlaub, da will man einfach mal ausspannen, die großen Probleme des Lebens und der Welt hinter sich lassen. Aber so ganz ohne geht es halt eigentlich doch nicht, aber der Reihe nach.

Wildes machen seit ihrer 2021 veröffentlichten EP „Rawwr“ mit einer detailgetreuen NDW-Hommage auf sich aufmerksam. Musikalisch lässt sich das dann recht klassisch an; präziser, nicht völlig übersteuerter Drumcomputer trifft Synthie, ab und an ein paar lässige Gitarrenriffs drin. Wie die ideellen Vorreiter DAF/Grauzone/Paso Doble spielt Repetition eine kompositorische Rolle; und auch textlich ist das wunderbar gaga alles, inklusive programmatischen Ausrutschern in kunstvoll überzogene Pop-Romantik-Plattitüden, willkürlichen Sprachwechseln an kritischen Textpassagen, gesungen mit angemessen viel Attitüde; die Zeile „Hitze/ Wenn ich Fotos mit Gelati knipse“ muss da auch einfach mal hervorgehoben werden, und sei es nur, weil sie dieser punktuell neu kultivierten Italophilie, die vereinzelt durch deutschen Indie schwappt, in ihrer Beiläufigkeit einen würdigen Höhe- und damit logischen Endpunkt setzt.

Richtig stark wird der Song aber dadurch, dass er den Hörer ins Grübeln bringt. Wildes besingen die Hitze, und was sie alles so für Konsequenzen aufs hedonistische Leben mit sich bringt; schlägt gar entsprechende Lösungen vor (Tanzen). Die Fragen, die wir uns aber stellen müssten, werden gekonnt ausgeklammert, obwohl zeitgleich in halb Europa die Wasserstraßen austrocknen. Diese Leerstelle ist ungemein geschickt, weil sie eben gleichzeitig die Rolle des Einzelnen reflektiert (Schweigen), und die Rolle der Gesellschaft übers Ungesagte hinausschreit. Ja und wer will, der kann in der Argumentationsführung „Alles schlecht? – geh mal tanzen!“ am Ende sogar noch Popkulturkritik in dem Song finden, wie sie Böhmermann vor ein paar Jahren auch schon mal an anderer Stelle geübt hat. Wildes spielen nur so mit den Ebenen. „Hitze“ ist ein geschickter, perfider, kleiner Song. Nicht unbedingt der Sommerhit, den wir uns wünschen – aber man kann Argumente dafür finden, dass es der Sommerhit ist, den wir verdienen.

VÖ: 08. August 2022 via Kommando 84