Text: Julian Tröndle, 06. Oktober 2020

Dass sich Elvis Perkins in den vergangenen Jahren primär mit der Komposition von Filmsoundtracks statt mit der Arbeit an regulären Studioalben beschäftigt hat, verwundert mit Blick auf die Biographie des New Yorker Songwriters kaum: Sein Vater, Anthony Perkins, verkörperte 1960 in Hitchcocks Psycho auf ikonische Weise den Serienmörder Norman Bates; seine Mutter, Berry Berenson, arbeitete als Fotografin für die Vogue und stand als Nebenjob ebenfalls mehrfach als Schauspielerin vor der Kamera. Man braucht sich nur die Gesprächsthemen beim gemeinsamen Abendessen der Familie Perkins auszumalen, um den Einfluss zu erahnen, den visuelle Medien – insbesondere der Film – während Kindheit und Jugend auf den Folk-Musiker ausübte. Hinzu kommt, dass sich das weitere Schicksal der Familie in seiner Tragik einigermaßen drehbuchhaft liest: Sein Vater verstarb am 12. September 1992 an AIDS; seine Mutter kam kurz vor dessen neunjährigem Todestag ums Leben, da sie sich zum Zeitpunkt der Anschläge in einem der Türme befand. Die Trauer um seine Eltern verarbeitete Elvis Perkins auf seinem 2007 erschienenen Konzeptalbum „Ash Wednesday“ zu einer der ergreifendsten und besten Folk-Platten seiner Dekade.

Hinter „Creation Myths“, dem neuen Elvis Perkins Album, steckt – anders als der Titel zunächst vermuten lässt – keine vergleichbar distinkte Entstehungsgeschichte. Die Platte stellt vielmehr eine Sammlung von Songs dar, die bereits seit Jahrzehnten als Demos oder rauschende Open-Mic-Mitschnitte vor sich hin existierten und die nun zusammen mit dem Produzenten Sam Cohen neu arrangiert, und zu opulentem Country-Kammerpop verdichtet wurden. Die Wahl Cohens, der zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit Kevin Morby auf sich aufmerksam machte, erweist sich hierbei für Perkins als absoluter Glücksgriff: Während auf dem Vorgängeralbum „I Aubade“ (2015) der Ideenreichtum seines Songwritings stellenweise noch die Zumutbarkeitsgrenze zu reißen drohte, wird der kreative Überschwang auf „Creation Myths“ mittels Studiomagie elegant eingehegt. Selbst ansatzlose Tempowechsel wie in „See Monkey“ oder die Tonartmodulation im Refrain von „Iris“ wirken hier nicht affektiert, sondern erscheinen als unbedingt notwendige Momente auf einem vor Kreativität pulsierenden Album.

Neben der Songstrukturen trägt sicher auch die breite Palette eingesetzter Instrumente zur großzügigen Wirkung der Platte bei. Ähnlich wie bei früheren Sufjan Stevens Alben beschwören die neun Songs durch allerlei musikalische Obskuritäten wie Sitar, Waldhorn,Vibraphon und Chorsätze eine kauzige Opulenz herauf, welcher man auch beim zigsten Hördurchgang noch neue Entdeckungen abzuringen vermag. Es ist eben diese Großzügigkeit, durch die der facettenreiche Retro-Pop des Albums letztlich doch ein gewisses ‚filmisches Potential‘ entfaltet, auch wenn dieses mal nicht die Musik zu den Bildern, sondern die Bilder zur Musik gesucht werden müssten.

VÖ: 02. Oktober 2020 via Petaluma Records