Text: Julian Tröndle, 02. März 2022

In einem seiner wenigen Interviews aus dem Jahr 2010 denkt Sufjan Stevens ausführlich darüber nach, warum der ungetrübte Bezug zum christlichen Glauben speziell im Folk der Hörerschaft oft ein diffuses Unbehagen bereitet. In seinen Überlegungen vergleicht er sein eigenes Genre schließlich mit Spielarten schwarzer Pop-Musik. Während er dort eine direkte Linie vom im Glauben verwurzelten Gospel zum Hip-Hop erkennt, stehe die Tradition des US-Amerikanischen Folks in einem ungleich ambigen Verhältnis zum Christentum: „Vielleicht ist es deshalb so unpopulär, sich auf die eigene Verwurzelung im Glauben zu beziehen, weil Folk seit jeher eine Reaktion und eine Rebellion gegen die Konventionen und Institutionen war.“ Er halte das aber für eine künstlerisch einschränkende und grob verkürzte Perspektive.

Der Singer-Songwriter Kyle Morgan würde diese Einschätzung vermutlich sofort unterschreiben. Nach zwei Alben mit seinem Bandprojekt Starcrossed Losers erscheint mit „Younger at Most Everyting“ nun sein Debütalbum, auf dem er die eigene Primärsozialisation in einer evangelischen Gemeinde und seine Haltsuche im Glauben reflektiert – Bibelkreis und Knabenchor inklusive. Ähnlich wie Stevens gelingt es Morgan dabei, die Patina scheinbar profaner Kindheitserinnerungen – die Gerüche des Pfarrsaals, die von Sonnencreme und Zitronenbonbons – über das innere Zwiegespräch, das Pendeln zwischen Momenten des Zweifelns und der Geborgenheit, in großer Songwriting-Kunst aufgehen zu lassen.

Die Musik unterstützt diese transzendentalen Momente seines Believer-Folks effektiv: Während sein brüchiges Falsett, das stellenweise an das von Corey Hanson oder – punktuell – gar an das eines bekannten Spotify-Gegners denken lässt, stets einen Meter über den Arrangements zu schweben scheint, bereiten unten Gitarren-Picking, Streich-Quartett und reduzierte Percussions ein Sicherheitsnetz für die teils sinistren Meditationen über Gott, Engel und Dämonen. Selbst wenn er wie im Song „Ransom The Captive Heart“ die eigene Teufelsaustreibung („The devil’s losing ground / I feel him loosening power over me“) von sakralen Frauenchören begleiten lässt, möchte man ihm das bereitwillig durchgehen lassen. Vermutlich greift hier schließlich doch ein ganz ähnlicher Effekt, wie er mich kürzlich beim Hören der Pastor T.L. Barrett Gospel-Compilation „I Shall Wear A Crown“ erfasste: Es ist die naive Energie eines Gläubigen, welcher man sich selbst als erklärter Agnostiker nur schwer zu entziehen vermag.

VÖ: 25. Februar 2022 via Team Love Records