Text: Nico Beinke, 06. August 2021

So wirklich entsprachen Liars noch nie dem ewigen Post-Punk-Stigma, vielmehr schienen sie immer auf der Suche nach dem neuen Prä. Prä-Punk ging ja nun nicht mehr, also blieben Liars in persona Angus Andrew (nebst wechselnder Besetzungen) niemals lang genug an einem Ort um in eine Schublade gesteckt werden zu können. Jedes der neun Alben (davon sind zwei [2017 und 2018] lupenreine Soloalben Andrews) klang eher nach Aufbruch, nach Rastlosigkeit und atemloser, musikalischer Besessenheit, die sich jede Rückwärtsgewandtheit von vornherein verbat. Album Nummer zehn bildet keine Ausnahme: „The Apple Drop“ ist mit „Cavalcade“ (Black Midi) und „For the First Time“ von Black Country, New Road der dritte leuchtende Stern am Post/Prä-Avantgarde-Noise-Rock/Punk-Himmel dieses Jahres.

Jetzt, im Jahre 20 nach dem Debüt „They Threw Us All in a Trench and Stuck a Monument on Top“, lässt sich kaum noch rekonstruieren, welchen verschlungenen Pfaden Angus Andrews ruheloser Geist zu folgen suchte. Zwischen dem Debüt von 2001, dem unerschrockenen Nonkonformismus und der damals omnipräsenten Punk-Attitüde, bis hin zu einem Song wie „Star Search“ auf dem vorliegenden Album liegen musikalische Welten. So wollten Liars 2001 sicher weniger Kunst erschaffen, als Kunstschaffenden vielmehr vor den Koffer kacken, um dann – in Erhaltung eben erwähnter Punk-Attitüde – selbst Kunst zu erschaffen, die neu und aufregend ist und bleiben wird. Ein ganz klein bisschen muss ich dabei auch an Mike Patton denken und vielleicht am ehesten an sein Tomahawk-Projekt, wenn es um die Furcht- und Kompromisslosigkeit geht, die diese Sorte krawalliger Avantgarde benötigt.

Gemäß des 2006er-Titels „Drum’s Not Dead“ ihres dritten Albums (unbedingte Hörempfehlung!) sollte an abschließender Stelle noch die Mitwirkung Laurence Pikes erwähnt sein. Der Australier ist sicher einer der herausragenden Protagonisten einer neuen, an Jazz orientierten Generation von Schlagzeugern, die zusätzlich mit experimenteller Elektronik arbeiten und somit aus dem ewigen Schatten, der zu oft belächelten Takthalter treten. Das gilt im Übrigen für alle elf Tracks während „The Apple Drop“, wenn zuvorderst handgemachte Musik steht, die dann elektronisch nachbearbeitet, oder besser geschreddert wird, damit sie im Liars-Kosmos angemessen kaputt klingt.

VÖ: 06. August 2021 via Mute