Text: Patricia Leuchtenberger, 08. September 2022

Mit altbekanntem Lärm und frischen, gediegenen Tönen huldigen die Post-Punker LIFE in ihrem dritten Studioalbum „North East Coastal Town“ ihre Heimatstadt Hull und würdigen sie zudem mit einer zutiefst sentimentalen und durchgemischten Charakterstudie. Die im Norden von England gelegene, von der Kohle-Industrie geprägten Kleinstadt brachte die vier Bandmitglieder hervor. „North East Coastal Town“ is our love letter to the city“, so beschreibt LIFE den Sound und Konzeption zu ihrer neuen Platte; und so transportiert die Band das Gefühl eines kalten, tristen und doch bunten Ortes in die Köpfe der reiseeuphorischen Mitteleuropäer und formuliert einen Grund mehr, den etwas eigensinnigen Brit-Rock ins Herz zu schließen.

„Friends Without Names“ ist die erste Single-Auskopplung, die im November letzten Jahres den Fans fünf Minuten lang einen Vorgeschmack auf das aufkommende Album gab. Mit rhythmischem Sprechgesang, dunkler Bassline und düsteren Lyrics über verlorene Hoffnung und der kühlen Leichtlebigkeit von romantischen Beziehungen. Und so schreitet das Album laut und bestimmt voran: tägliches, überfordertes Flanieren in „Big Moon Lake“, mit Indie-Melodien in den Abgrund schlittern in „Incomplete“, ein hymnisches „Recipe, I ain’t a Culture recipe“ in „Almost Home“, das klanglich erstaunlich nah an Mush’s Down Tools reicht und die Beziehung von Egoismus und Liebe erkundet. „Duck Egg Blue“ schlägt dann diametral traurige Töne im Angesicht des eigenen Scheiterns in der Beziehung an, welches mit tiefem Sprechgesang im Stile Leonard Cohens und schweifenden Chor Melodramatik auf die Spitze treibt.

Hat man sich gerade in das wohlige Gitarrenklimpern fallen gelassen, haut es LIFE einen mit „Shipping Forecast“ und „Poison“ dermaßen um die Ohren, dass man denken könnte, dass die vier sich bei der letzten Abnahme der Platte im Studio einen abgeflacht haben, wie die Hörer sich fehlleiten von der augenscheinlichen Ruhe könnte. Liebe steht dabei immer im Mittelpunkt, ob die Liebe zu einer Person in Hull oder zur Stadt selbst im Fokus steht, bleibt offen. In „Self Portrait“ und „The Drug“ wird The-Offspring-eske von mehr Hintergrundgesängen einer Menschenmenge Gebrauch gemacht und spätestens gegen Ende mit „Our Love Is Growing“ und „All You Are“ schlüpft LIFE aus ihrem Post-Punk-Kostüm.

Denn fröhlich springende Melodien, die auch von den Arctic Monkeys stammen können, vermischen sich mit einer instrumentalen Geselligkeit, welche man von LIFE nicht gewöhnt ist. Spielen sie sonst die Riffs klirrend herunter, mit brodelnder Inbrunst, bekommt man als Hörer am Ende das Gefühl, dass die vierköpfige Gruppe von einem Frieden, einer Ruhe, die auch mal britisch untypisch harmonisch sein darf, durchflutet werden. Die vier scheinen trotz zweier punklastigen Vorgängeralben an einem Punkt zu sein, an dem sie nicht gegen alles und jeden wettern müssen; Hull legt einen wärmenden, schützenden Schleier um sie, welcher ihnen jeglichen Lärm um und in ihnen von den Gemütern hält. Vielleicht ist es genau das, was ein Zuhause ausmacht.

17.10.2022 Köln – Blue Shell
18.10.2022 Hamburg – Molotow Club
25.10.2022 Berlin – Hole 44

VÖ: 19. August 2022 via The Liquid Label