Text: Matthias Eichler, 26. Januar 2021

Mitternacht am letzten Tag des Jahres 2020: Als die Sonne den tiefsten Stand ihrer Bahn am Himmel durchläuft sind die inneren Uhren für Anna Attir (alias Monsterheart) auf Null gestellt, denn in jedem Ende liegt ein neuer Anfang. Der große Reset-Button als neue Chance, ein Appell an die Gesellschaft zu mehr Solidarität, zur gegenseitigen Bejahung, ein Wunsch und die Akzeptanz einer dringend nötigen Veränderung.

Symbolkraft als Bedeutungsträger. Ein Neuanfang birgt neue, manchmal unterschätzte Kraft; Energie mit der man das Nachhallen alter sekkierende Echos und drangsalierende Diwen, Asuras und auch Dschinnen zu überwältigen vermag. „The New“ kam Neujahr zur mitternächtlichen Stunde raus, ist ihr drittes Album und umfasst neun Songs, die sich durch Themen wie Transformation, Ende, Anfang, Grenzaufhebung und das positive Voranschreiten winden und das Leben an sich zelebrieren. Eine Themenwelt, mit der sie mehr kollidiert als nur streift, da auch ihr Kosmos in seiner ganzen Beschaffenheit in den letzten Jahren nachhaltig verändert wurde durch verschiedene Lebensereignisse.

Die aus Wien stammende Musikerin und bildende Künstlerin war im Teenagealter Frontfrau der äußerst sympathischen und (wie sich das für Teenager gehört) hasserfüllten Lo-Fi-Pop Band Go Die Big City. 2011 gründete sie ihr Solo-Projekt Monsterheart, wurde 2015 für den FM4 Award, der im Rahmen der Amadeus Austrian Award verliehen wurde, nominiert. Steiler Verlauf. War „Salam“, das wunderbare Grave-Pop Vorgängeralbum von 2017, noch eher ein flüsterndes Mantra, ein spirituelles Wispern, eine gedankenversunkene, sanft säuselnde, fast schon meditative Seance, findet man sich bei „The New“ in einer verändernden Stimmung wieder; die „hoffnungsvollste und romantischste bis jetzt“, so Anna Attir.

Die Klangeigenschaft und die Lyrics von „Salam“, ein zum größtenteils obskur-finsterer Charakter mit Hang zu einer geruhsam-behaglichen Friedhofsatmosphäre mit romantischen Sehnsuchts-Tagträumen weicht bei „The New“ einer versöhnenderen, gefühlt weniger moll- und moribundlastigen, konzilianten Atmosphäre mit mehr Leichtigkeit ohne dabei auf ihr mystisches Werkzeug, ihren treuen Begleiter, gleichzeitig ihre Heimat und sakrale Töne pfeifendes Instrument zu verzichten, -Tasteninstrumente, Synthesizer, jegliche Art von Orgel-Keys, unter anderem ein massiv-charismatischer, charmant-analoger Casiotone-701.

Ohne groß mäandernde Umschweife geleitet uns ein geradliniger Puls durch eine reduzierte, jedoch nie langweilig werdende Kadenz mit nicht erahnbaren Tiefen, die sie mit ihrer harmonisch-ausgewogenen und wirklich starken Gesangsperformance verwebt. Die „The New“-Hörerlebnis-Emotionen bzw. Empfindungen reichen hier von gedankenverloren-nachsinnend über wären-doch-meine-Freunde-mit-ein-paar-Flaschen-Wein-hier bis rücksichtslos-ausgelassene Tanzbarkeit.

Vielleicht ist es ihre unkomplizierte, besänftigende Art mit relativ wenig (jedoch mit maximaler Einschlagkraft!) aber gezielten Worten und Harmonien genau den Auslöser in uns zu finden, den man verzweifelt im ganzen Gefühlsdschungel so lange gesucht hat. Die verblüffende Faszination und unterschätzte Wirkung der Schlichtheit, in die sie ihre Lieder kleidet und die sich jeglicher aufgedunsenen Manieriertheit entledigt. Außergewöhnlich. Schön. Satori.

VÖ: 01. Januar 2020 via Polkov Records