Text: Christoph Walter, 10. Mai 2021

Die Gründe, nach längerem musikalischen Schaffen in einer Band irgendwann ein Solo-Album aufzunehmen, sind vielfältig und zum Glück nicht immer so tragisch wie im Falle von Natalie Bergman. Im Oktober 2019 erhielten die aus Chicago stammende Musikerin und ihr Bruder Elliot unmittelbar vor einem Konzert ihrer gemeinsamen Band Wild Belle in der New Yorker Radio City Music Hall die Nachricht, dass ihr Vater und die Stiefmutter bei einem von einem betrunkenen Autofahrer verursachten Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind. Diese Nachricht und die unmittelbaren Folgen besingt Bergman in „Last Farewell“, dem berührenden letzten Stück ihres Solo-Debüts „Mercy“. Dabei markiert der Song so etwas wie die Vorgeschichte der LP. Nach dem ersten Schock und der Trauer über den Verlust entschloss sich die in einer ebenso musikalischen wie religiösen Familie aufgewachsene Amerikanerin, längere Zeit in einem abgeschiedenen Kloster zu verbringen und ein Album mit Gospel-Musik aufzunehmen — für sie „die wahre Quelle des Rock and Roll“.

Die fertige Platte ist nun stark von den Sechzigern inspiriert und nimmt einen beim Anhören schnell für sich ein. Während man beim Opener „Talk To The Lord“ anfangs noch etwas irritiert über den Bubblegum-süßen Gesang und das scheppernde Keyboard ist, hat einen der ohrwurmartige Song auch schon fest im Griff. Neben den souligen Nummern, die sich unmittelbar einprägen, geht es auf „Mercy“ aber auch oft deutlich subtiler zu. „I Will Praise You“ und „The Gallows“ bestechen mit LoFi-Flair und Mitsing-Refrains und die wunderbare Ballade „Home At Last“ lässt an Joni Mitchell denken. Bei so viel Rückgriff auf vergangene Zeiten wirkt der Autotune-Gesang auf „He Will Lift You Up Higher“ doch recht überraschend und ein wenig deplatziert, was dem durchweg positiven Gesamteindruck von „Mercy“ aber keinen Abbruch tut. Bleibt zu hoffen, dass irgendwann weitere Solo-LPs von Natalie Bergman folgen — wenn auch unter deutlich erfreulicheren Vorzeichen.

VÖ: 05. Mai 2021 via Third Man Records