Text: Christoph Walter, 12. Februar 2021

Die fürs Frühjahr angekündigte Europatournee der Bad Seeds: abgesagt. Die dieser Tage zu Ende gehende Ausstellung „Stranger Than Kindness“ in Kopenhagen: unerreichbar. Außerdem ist fraglich, ob und wann die Ausstellung, wie ursprünglich geplant, auch in Deutschland zu sehen sein wird.

Bei so vielen Absagen, Enttäuschungen und Fragezeichen könnte man als Fan von Nick Cave beinahe verzweifeln. Aber eben nur beinahe, denn es gibt doch einen kleinen Lichtblick, der die Situation ein wenig erträglicher macht. „Stranger Than Kindness“, quasi das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, ist nämlich nun auch in einer deutschsprachigen Version erhältlich. Konkret bedeutet das, dass dem Buch in seiner ursprünglichen Fassung ein Booklet beiliegt, in dem sich neben allerlei Anmerkungen vor allem die deutsche Übersetzung (von Christian Lux) des klugen Essays „Gott ist anwesend“ von Darcey Steinke findet. Darin ergründet die New Yorker Schriftstellerin die zahlreichen religiösen Anspielungen im Werk des Universalkünstlers Nick Cave und zieht unter anderem eine Parallele zu William Faulkner:

Caves Figuren mischen wie jene Faulkners oft das Irdische mit dem Himmlischen.

Die Mischung des allzu Irdischen mit dem Himmlischen sticht einem dann auch sofort ins Auge, wenn man sich durch die Seiten des reich bebilderten Buches blättert. In einem Notizbuch etwa hat Cave neben allerlei Heiligenbildern Fotos von barbusigen Pin-Up-Girls gesammelt. Ansonsten bietet „Stranger Than Kindness“ einen umfangreichen Einblick in das Leben und Schaffen des Australiers. Relikte aus der Kindheit und Jugend (darunter ein besorgter Brief des ehemaligen Schuldirektors an Mutter Dawn Cave wegen des merkwürdigen Verhaltens ihres Sprösslings), verwackelte Fotos von frühen Auftritten, mehr oder weniger bedeutsame Notizen, teils mit ersten Entwürfen zu Songtexten, sowie allerlei anderer Krimskrams, der sich eben über die Jahre so angesammelt hat.

Eine ebenso kurzweilige wie seltsame Wunderkammer ist das, mit deren Hilfe sich den Betrachterinnen und Betrachtern ein umfassenderes Bild des Künstlers Nick Cave erschließt. Allzu viel hineininterpretieren sollte man in die Dinge, die er für „Stranger Than Kindness“ zusammengetragen hat, indes aber auch nicht, wie er selbst bemerkt:

Sie hingegen sollten nicht als Kunstwerke betrachtet werden, sondern eher als wilde und zwanghafte Überbauten, die den Song oder das Skript oder die Komposition mit sich bringen. Sie sind ein unterstützendes System von manischen tangentialen Informationen.

Ein Buch voller manischer tangentialer Informationen – mehr kann man sich in Zeiten verschobener Ausstellungen und abgesagter Konzerte doch eigentlich gar nicht wünschen, oder?

VÖ: 11. Februar 2021 via Kiepenheuer & Witsch