Abgesagte Tourneen, auf einen unbestimmten Zeitpunkt verlegte Konzerte, ausgefallene Festivals — und das seit mehr als einem Jahr. Was einerseits ein finanzielles Fiasko für immer stärker auf Live-Einnahmen angewiesene Musikerinnen und Musiker ist, ist auf der anderen Seite in vielen Fällen gar nicht so übel für die Produktivität. Ben Cramer alias Old Sea Brigade hat es während des Ausnahmezustands immerhin geschafft, zuerst eine gemeinsame EP mit seinem britischen Kumpel Luke Sital-Singh aufzunehmen und dann mit „Motivational Speaking“ auch noch eine zweite LP nachzuschieben.
„Vielleicht kann das Album eine kleine Ablenkung vom Chaos in der Welt sein“, sagt der Songwriter aus Nashville und nach dem Anhören der zwölf Songs darf man diese Hoffnung als durchaus erfüllt sehen. Zwar wurde das Feld, auf dem sich „Motivational Speaking“ weitgehend bewegt, schon von zahllosen Kollegen wie William Fitzsimmons, Benjamin Francis Leftwich oder auch Matt Berninger auf dessen letztjährigem Solo-Debüt beackert, aber eine Reihe von frischen Ideen bringen Ben Cramers zeitgemäße Americana- und Folkpop-Stücke mit elektronischen Einsprengseln dann doch mit.
Besonders schön geraten sind das lässige, melodieverliebte „American Impression“, die feine Ballade „Caroline“ und das äußerst eingängige, hitverdächtige „Day By Day“. Darauf, dass die Refraizeile „And I think of you growing old and it breaks my heart“ bei Konzerten vielstimmig mitgesungen wird, kann man sich jetzt schon einstellen — wann auch immer es soweit sein mag.