Text: Julian Tröndle, 27. August 2021

Unlängst eröffnete mir ein Künstler, der gerade auf Tour war und dabei täglich absurde Wegstrecken zurückzulegen hatte, dass ihm ohne die Musik von The War On Drugs das stupide Kilometerfressen schlicht unerträglich wäre. Besonders nächtliche Autobahnstrecken seien wie geschaffen für den mäandernden Folkrock der Band, der einen sofort an amerikanische Highways denken lasse, während man eigentlich gerade an provinziellen Nicht-Orten wie der Raststätte Oberlausitz Nord vorbeirollt. Ich empfahl ihm daraufhin eine Platte, die für mich, seit sie mir vor einigen Jahren eine Taxifahrt von Marrakesh ins Atlasgebirge begleitete, für immer der ideale On-The-Road-Soundtrack bleiben wird: Das Album „Way Out Weather“ von Steve Gunn.

Denn ähnlich wie die Stücke von The War On Drugs funktionieren auch die Steve Gunns, wenngleich dem Folkkontext entstammend, nicht wie Songs im konventionellen Sinne, sondern eher wie atmosphärisch-ausufernde Tracks, welche die Eingängigkeitsambitionen des Pops zugunsten einer entwaffnenden Sogwirkung suspendieren: Kühle Dekonstrukteur*innen vermögen zwar bestimmt dennoch hier und da Strophe-Hook-Schemata herauszuanalysieren; das intuitive, lebendige Hörerlebnis lässt einen jedoch am Ende der meisten Steve Gunn Songs angenehm orientierungslos zurück.

Auch „Other You“, das neuste Werk des Songwriters und Gitarrenvirtuosen aus Pennsylvania, verweigert sich inständig der Pop-Prämisse namens Wiederkennung. Stattdessen operieren die elf Songs des Albums an der nebulösen Schnittstelle von Folk, Kraut und Jazz, in welcher bereits ähnlich mainstream-scheue Freigeister wie Ryley Walker, Mega Bog oder James Elkington ihre fransigen Traumfänger ausgehängt haben. Anders als bei den genannten Acts wirkt die Musik Gunns dabei aber in keinem Moment esoterisch entrückt oder – wie im Falle von Adam Granduciels The War On Drugs – in seinem Mukkertum unangenehm maskulin. Bei Spurwechseln wären sowieso beide Nebenwirkungen unmittelbar lebensgefährlich, weshalb auch das neue Steve Gunn Album von mir guten Gewissens das Michelin-Siegel ‚Autobahnmusik‘ verliehen bekommen kann. (Prophylaktischer Facebook-Kommentar an mich selbst: „Boah, der Typ gibt ernsthaft Musiktipps fürs Auto, während allerorts die Welt untergeht? Leute, wir haben 2021!“)

11.02.2022 Berlin – Maschinenhaus
12.02.2022 Hamburg – Nachtasyl

VÖ: 27. August 2021 via Matador Records