Text: Nils Hartung, 11. Februar 2022

Zehn Jahre sind mittlerweile vergangen seit Fans und Kritiker Alt-J mit ihrem Debüt „An Awesome Wave“ auf den Thron der Indie-Darlings des Jahrgangs 2012 hievten. Ihr eigenwillig zerklüfteter Sound, der narrenfrei in die Zwischenräume von Rock und R’n’B tänzelt, trug die Band aus Leeds bald von der kleinen Clubbühne ins große Stadion.

Mit dem Debut-Nachfolger „This is all yours“ blieben Alt-J freilich immer noch Lichtjahre von klischeehaftem Stadiongehabe entfernt. Dennoch flirtete die mittlerweile zum Trio verkleinerte Band (Gwil Sainsbruy stieg nach der Awesome Wave-Tour 2014 aus) schon damals mit musikalischer Verdichtung und schafften Räumen für jede Menge cineastisches Instrumentarium. „Relaxer“ von 2017 bildete den vorläufigen Höhepunkt in dieser Entwicklungskette und durfte als Rap Do-Over Reduxer freundlich vom Gipfel der Weirdness winken.

Was uns Alt-J nun nach fünfjähriger Verschnaufpause auf „The Dream“ präsentieren klingt phasenweise wie eine Entgiftungskur von großen Gesten. Opulenz, wenn sie denn stattfindet, sucht hier die schnelle Gelegenheit zum Zerfasern. So entstehen abseits vertraut wirkender Taktgeber wie „Hard Drive Gold“ oder „U&ME“ vielschichtige Melodie-Miniaturen, die uns Alt-J liebevoll ins Unterbewusstsein zu schummeln vermögen (zum Beispiel untermalt von Grillgenknister in „Happier When You’re Gone“).

„The Dream“ ist reich an schimmernden Bruchstellen, die sich aber erst im zweiten Moment als solche zu erkennen geben. In „Walk A Mile“ schwappen Kammerchor und Blues-Gitarre plötzlich ineinander und mäandern dann gemeinsam zur Flussmündung („Delta“). Und gerade wenn man meint, man könne einen Hook festhalten, verschwimmen die Konturen immer wieder aufs Neue. In diesem Bewusstseinszustand zwischen Schlaf und Wach funktioniert dann auch die Fallhöhe von verrauschtem Folk zu wummernden Deep House im Zweiteiler „Chicago“ wie Butter (..naja, fast). “The Actor“ – vielleicht der heimliche Hit des Albums – treibt vernebelten Beats durch die Straßen von L.A.. „Get Better“ wirkt im direkten Kontrast wie eine zerbrechliche Songs-Skizze von Elliott Smith, die Schmerz und Verlust ungefiltert erfahrbar macht. „A younger you and a younger me meeting at the serpentine. I am yours. You are mine.”, singt Joe Newman verhuscht gebrochen. Alt-J befeuern in diesen Momenten durchaus Erinnerungen an ihr grandioses Debüt.

Aber „The Dream“ funktioniert auch in seinem eigenen eigenartigen Kosmos vortrefflich, weil die Band das Dazwischensein als kohärenten Erzählstrang herausgearbeitet. In dieser Form haben Alt-J den Blick in den Rückspiegel wirklich nicht nötig.

07.11.2022 Hamburg – Sporthalle
09.11.2022 Ludwigsburg – MHP Arena
10.11.2022 München – Zenith
23.11.2022 Köln – Palladium

VÖ: 11. Februar 2022 via Infectious Music