Text: Julian Tröndle, 29. November 2021

Das Label-Debüt des Drummers Makaya McCraven auf Blue Note beginnt mit einem Move, der Hörer:innen des Highbrow-Genres Jazz zumindest irritieren dürfte: Und zwar mit einem einführenden Shoutout von ‚Pee Wee‘ Marquette, einst master of ceremony des renommierten New Yorker Birdland Jazz Clubs. Die gepitcht wirkende Stimme, welche HipHop-Fans spontan an die des Madlib-Alter-Egos Quasimoto erinnern wird, verkündet dort feierlich:

Ladies & Gentlemen, as you know we have something special down at Birdland this evening, a recording for Blue Note Records […].

Die Emphasis, mit der hier zu Beginn auf das berühmte Jazz-Label verwiesen wird, ist nicht nur Indiz für McCravens HipHop-Background, in welchem extramusikalische Elemente wie Skits, Shoutouts oder Producer-Tags zum ästhetischen Standardrepertoire gehören; durch die Geste wird auch evident, um was es sich bei seinem neuen Album „Deciphering The Message“ im Kern handelt: Um eine ehrfurchtsvolle Verneigung vor dem Blue-Note-Backkatalog, auf den er vermutlich bereits als Kind stieß, als er die Plattensammlung seines Vaters Steve McCraven durchforstete, während dieser als Schlagzeuger von Archie Shepp um die Welt tourte. Auf dem Album finden sich folglich keine eigenen Kompositionen, sondern ausschließlich Reinterpretationen von Fundstücken aus dem reichen labeleigenen Archiv.

Mit diesen Überarbeitungen der gehobenen Originale aus den 60ern verweist er einerseits auf das produktive Potential der HipHop-Praxis Sampling, das er bereits auf dem Scott-Heron-Remix-Album „We’re New Again“ (2020) eindrucksvoll zu nutzen wusste; gleichzeitig greift er auch eine tradierte Methode des Jazz auf: Denn insbesondere während der Blue-Note-Frühphase, welcher das Gros des Ursprungsmaterials entstammt, war es unter den Musiker:innen üblich, fremde Melodiefragmente und Standards zu übernehmen und sie durch das eigene Spiel mit einer individuellen Signatur zu versehen – mit einem analogen Producer-Tag sozusagen. Dieses Prinzip nutzt nun auch McCraven, wenn er Stücke von Künstlern wie Hank Mobley („A Slice Of The Top“), Kenny Dorham („Sunset“, „Monaco“) oder Vernon Duke („Autumn In New York“) mit tiefen Bässen und seinem sensationell präzisen Drumming grundiert und sie damit ins Hier und Jetzt überführt.

Unterstützt von Gastmusikern wie Jeff Parker (Gitarre) und Joel Ross (Vibraphon) entsteht dabei eine gleichsam quellenbewusste wie zeitgemäße Produktion, die die Traditionslinien afroamerikanischer Musik von frühem Jazz bis hin zu zeitgenössischem HipHop grandios nachzeichnet und als Kontinuum begreifbar werden lässt. Dies sei, so McCraven, auch das pädagogische Anliegen von „Deciphering The Message“ – einem Album, das er als Einladung zur musikalischen Archäologie verstanden wissen will:

I hope this makes [my listeners] check out the source of this music if they have it. The music that we’re making now is part of the same route and is connected, so I want to honor tradition and release something that people can vibe to.

VÖ: 19. November 2021 via Blue Note Records