Text: Christoph Walter, 14. Juni 2021

Die Lebensgeschichte des Gustav Mesmer als tragisch zu bezeichnen, wäre fast ein wenig untertrieben. Der Erste Weltkrieg beendete die Schullaufbahn des 1903 in der oberschwäbischen Gemeinde Altshausen nahe Ravensburg Geborenen ein vorzeitiges Ende. Da Geld in der sehr kinderreichen Familie Mesmer stets Mangelware war, musste der junge Gustav bald auf Bauernhöfen schuften, um wenigstens regelmäßig etwas zu essen zu haben. Später verschlug es ihn mehrere Jahre ins Kloster, wo zwar der Lebensunterhalt gesichert war, er aber auch nicht so recht glücklich wurde. Also zog er weiter und begann eine Schreinerlehre, ehe sich sein Leben im Frühjahr 1929 auf dramatische Art und Weise änderte: In verwirrtem Zustand störte er eine Konfirmationsfeier und wurde wenige Wochen später auf Anraten seines Hausarztes in die Psychiatrie in Schussenried eingewiesen.

Aus dem wohl auch von Gustav Mesmer selbst, der nach heutigem Ermessen höchstwahrscheinlich nie ernsthaft psychisch krank war, erhofften kurzen Aufenthalt sollten quälend lange 35 Jahre werden. Einzig der Traum vom Fliegen und das Zeichnen entsprechender Flugapparate bewahrten ihn letztlich davor, tatsächlich verrückt zu werden. Nach seiner Entlassung machte sich er sich, inzwischen Mitte 60, daran, seine Konstruktionen auch in die Praxis umzusetzen. Vor allem mit einem zum Flugrad umgebauten alten Damenfahrrad wurde Mesmer schon bald zu einer Attraktion für die Sonntagsspaziergänger auf der Schwäbischen Alb. Als „Ikarus vom Lautertal“ wurde er immer bekannter und seine Erfindungen wurden bei diversen Ausstellungen begeistert aufgenommen — unter anderem auf der Weltausstellung in Sevilla im Jahr 1992. Ob der 1994 kurz vor seinem 92. Geburtstag gestorbene Gustav Mesmer mit einem seiner Flugräder tatsächlich geflogen ist, ist bis heute nicht sicher. Nach eigener Aussage sei er einmal fast 50 Meter weit gesegelt; ausgerechnet da hat natürlich niemand zugeschaut.

Mit „Musik für Flugräder“ — einer Vertonung von Mesmers filmisch festgehaltenen Flugversuchen — haben der Kofelgschroa-Sänger und -Akkordeonist Maxi Pongratz, Tausendsassa Micha Acher und diverse Kolleginnen und Kollegen wie Theresa Loibl, Maria Hafner und Cico Beck dem genialen Tüftler und der tragischen Gestalt Gustav Mesmer nun ein großartiges musikalisches Denkmal errichtet. Natürlich nicht monumental und wuchtig, sondern ganz behutsam und herrlich verschroben. Mal klingen die Instrumentalstücke entspannt wie ein Sommerspaziergang auf der Schwäbischen Alb, bei dem man Ausschau hält nach Mesmer auf seinem Flugrad, mal quietscht und fiept es wie in der Werkstatt eines manischen Tüftlers.

Nach dem Anhören der Platte gibt es jedenfalls keinen Zweifel mehr: Gustav Mesmer ist geflogen. Egal, ob es jemand gesehen hat oder ob er es sich am Ende nur eingebildet hat. Er ist geflogen.

VÖ: 11. Juni 2021 via Trikont